Birgit Höppl zur Ausstellung Kathrina Rudolph, Bild der Zeit, Zeitungsbilder in der Galerie Veerle Marissen und Arja Decker, Hohenbrunn, November 2014

Birgit Höppl, Kunsthistorikerin
November 2014
Sehr geehrte Gäste dieser Ausstellungseröffnung,
liebe Arja Decker, liebe Veerle Marissen, liebe Kathrina,
 
wenn ich Ihnen sagen würde, wir eröffnen hier eine Ausstellung von Kathrina Rudolph mit Photographien der letzten ca. 20 Jahre, dann täten Sie mir nicht so wirklich glauben, klar, Sie kennen mich ja auch nicht – aber: es stimmt: Sie sehen hier ausnahmslos Photographien, die meisten aus der Süddeutschen Zeitung, drum ja auch der zweite Teil des Titels: "… – Zeitungsbilder".
Vielleicht erkennen Sie dann auch so zwischendurch einen prominenten Kopf, Julia Timoschenko, Angela Merkel, Amy Winehouse, oder Sie erinnern das ein oder andere Motiv, das Sie womöglich von der Titelseite der SZ angesprungen hat und von dem Sie kurz gedacht haben, was für ein bildmächtiges Photo – die Komposition könnt´ aufgrund ihrer zeitlosen Kraft genauso gut einem mittelalterlichen Flügelaltar entstammen.
 
Es stimmt also mit den Photos. Und stimmt freilich nicht – bzw. haben die Zeitungsbilder augenscheinlich einen langen Weg der Transformation hinter sich. Die neuesten Blätter, alle aus diesem Jahr, sind dabei zumindest für diejenigen, die mit der Arbeit der Künstlerin etwas vertraut sind, irritierend. Mit unverkennbarer Lust am Ornament und mit erkennbarer Freude am ästhetischen Experiment begegnen uns da Motive, bei denen die Rudolph-Kennerin sich denken könnte, hoppla, auf welchen politischen Zusammenhang bezieht sich das jetzt, wo steckt da der empathische Welt-Blick, mit dem Kathrina uns sonst konfrontiert hat.
Mit neuer Technik, auf Papier und in größerem Format als bisher kommen die Arbeiten unerwartet licht und leicht daher. Nachgeradezu: poppig. Auf die Pop Art wiederum bezieht sie sich implizit, in dem sie die Motive seriell und in unterschiedlichen Farbstimmungen verwendet - und explizit, indem sie Warhol und dessen Zugriff auf bestehende Bilder als einen ihrer derzeitigen Bezugsrahmen benennt.
 
Aber was sehen wir da eigentlich? Die Dreier-Serie mit dem zurückgeworfenen Kopf einer Frau wird beim Nähertreten zu einem fast abstrakten Formenspiel. Wenige flächige Partien, ein vielfach durchbrochenes kleinteiliges Farbgeflecht, das von einer nur imaginierten Kontur begrenzt wird. Offensichtlich nicht frei aufgetragen, vermutlich eine Drucktechnik, teils sieht man Pinselspuren, sowas wie ein überarbeiteter Druck könnte es also sein. Ums maschinelle, hand-ferne Vervielfältigen geht’s jedenfalls nicht. Es ist vor allem der halbgeöffnete Mund, der uns ins erkennbare Motiv zurückholt. Ein von viel Haar umrahmtes Frauengesicht, erotische Pose – ich vermute, dass fast niemand von Ihnen das photographische Vorbild im Kopf hat – selbst wenn Sie den Film, aus dem das ein Still ist, gesehen haben sollten: "Nymphomaniac" von Lars van Trier. Er erzählt von einer sexsüchtigen Frau, deren Biographie, deren Ausbrüche und Scheitern unauflöslich mit ihren genitalen Hoffnungen und ihrer Verzweiflung verquickt sind. Dass es um Genuss geht, sehen wir, Verzweiflung, Gewalt und sozialer Absturz schwingen nur für diejenigen mit, die den Film kennen.
Ähnlich beim "Schwimmer", ebenfalls eine Momentaufnahme aus einem Film ("Tore tanzt" aus dem letzten Jahr), der um Hoffnungen und psychische Abgründe kreist.
Schön oder schaurig das Motiv? Ich lese die Szene erstmal angenehm, ich kann das lustvolle Einswerden mit dem leicht bewegten Wasser, das befreite Treibenlassen spüren.
Aber vielleicht treibt da ein Toter, genau vermag ich´s nicht zu sagen. Bei längerem Hinsehen entgleitet auch dieses Motiv, es wird unwichtig, der Blick mäandert übers Blatt, verliert sich, freut sich, schweift ab. Soviel Freiheit war nie.
Die Art der Weltaneignung, der bildnerischen Vergewisserung dagegen war ähnlich immer bei Kathrina Rudolph.
 
Sie, die an der Münchner Akademie studiert hat und seit ein paar Jahren neben ihrer freien Arbeit an einem Augsburger Gymnasium Kunst unterrichtet, verleibt sich die Welt durch ihre spezifische Art der Übertragung ein. Zum einen photographiert sie selber, Biographischs wie "Ostermünchen", wo sie in den 1990ern eine Zeit lang gewohnt hat oder Frauen in Bangladesh, zu denen sie 2009 ein artist-in-residence-Programm geführt hatte.
Sie übersetzt sich fremde Orte, indem sie Bilder aus der Zeitung und Bildunterschriften, deren Bedeutung ihr verschlossen bleiben, auf ihre spezifische Art umkopiert – wie Sie es in der Finnland-Serie aus dem Jahr 2006 sehen können. Vor allem sammelt sie Photos aus der `Süddeutschen Zeitung´, seit 2001 ist so ein umfangreiches SZ-Archiv herangewachsen, ein "Bild der Zeit" aus "Zeitungsbildern".
 
All diesen schockierenden oder bezirzenden oder vorgeblich neutral-dokumentarischen, meist dem Moment und der raschen, optischen Verwertbarkeit gewidmeten Bilder, traut die Künstlerin nicht. Unterwirft sie einem langwierigen Untersuchungsprozess. Klar, dass der spontane künstlerische Ausdruck, die subjektive Geste, der schnelle Wurf, nicht Kathrinas Anliegen sind. Subjektiv ist die Bildauswahl – oft war und ist es die Darstellung von Frauen, die ihr ins Auge fällt. Danach folgt ein konzeptuell sorgfältig vorbereiteter Prozess von händischer Aneignung, technischer Reproduktion und kontrollierter Wieder-ins-Bild-Setzung.
Der Übertragungsprozess selber, der dem Zugriff auf ein bestimmtes Bild vertraut und diesem folgt, ist autonom, von der gewählten Vorlage unabhängig. Wie es beim Sport einen Trainingsimpuls und ein Ziel gibt - die Aktivität kennt nur sich selber; wer joggt, joggt, wer schwimmt, schwimmt, die Gedanken sind überall und nirgends, weit weg von Impuls und Ziel, sind auf der Strecke. So auch bei Kathrina Rudolph, deren Transformations- als Abstraktionsprozesse wahrgenommen werden können.
Die fast nüchtern-distanzierte Übertragung als Anhalten und Begreifenwollen ist eine unumkehrbare Einverleibung. Ob´s bekommt, zeigt sich erst, wenn das Resultat dem ästhetischen Blick der Künstlerin standhält. Das ist ein Wagnis, eine Überraschung, aber im Prozess unumkehrbar.
 
Die Instrumentarien, die die Künstlerin für ihre Übersetzungen jeweils gewählt hat, waren und sind handwerklich anspruchsvoll. Über viele Jahre grub sie die Bilder in Kreidegrund, der aufwändigst mehrfach aufgetragen und vorbereitet werden musste (das sehen Sie an der Finnland- und der Ostermünchen-Serie). Auch die Hinterglas-Malerei mit ihrem Motiv-Transfer hat sie sich angeeignet.
Die neuen Arbeiten auf Papier wirken einfacher, sind aber ähnlich komplex: pro Farbe schneidet sie eine passgenaue Folie zurecht, durch sie die den jeweiligen Tonwert aufträgt. Das wiederum geschieht mit einem Pinsel, der Strich bleibt sichtbar. Auch die Eitempera-Farben sind selber hergestellt.
 
Was mich von Anfang an fasziniert hat – wir sind uns vor 11 Jahren erstmals begegnet – war zum einen der spezifische Rudolf-Blick durch die Zeitung raus in die Fremde und zum anderen der Aspekt des Ornamentalen in ihrer Arbeit. Und tatsächlich hängt beides - das Globale und das Ornamentale –unmittelbar zusammen in ihrem Werk.
Zuerst war da der Rückgriff auf mittelalterliche Malerei samt deren ornamentalen Elementen. Über die Motivauswahl sind zudem serielle Muster und ornamentale Wiederholungen beispielsweise aus der indischen und arabischen Bildwelt schon lang ein Element der Bilder. Das Ornament durfte – sozusagen legitimiert über Vorlagen aus der Zeitung – seinen Platz einnehmen, durfte schön sein, durfte beruhigend wirken - und stellte gleichzeitig einen irritierenden Widerspruch zur Eintagsfliege Zeitungsaufmacher und dessen teils brutalen und deprimierenden Inhalten dar. Es behauptete seine Eigenständigkeit und rückte doch aktuelle Szenen in zeitlos gültige Dimensionen.
 
Sie kennen vielleicht diese zeitgenössischen afghanischen Teppiche, die vor etlichen Jahren auch im Kunstkontext aufgetaucht sind, mit schönen Ornamenten, welche sich erst auf den zweiten Blick als Panzer, U-Boote oder Flugzeugträger zu erkennen geben (auf der Architekturbiennale in Venedig im ital. Pavillon ist grade wieder einer davon zu sehen), auch da ist die schwer greifbare Gegenwart in tradierte Formen verwoben.
 
An einer ähnlichen Schnittstelle bewegt sich Kathrina seit über 15 Jahren - das hat mich wohl deswegen immer besonders interessiert, weil das Ornament sich ja erst seit der Jahrtausendwende ungefähr über die global gewordene Kunstszene wieder etabliert hat.
 
2001 gab es in der Fondation Beyeler eine Ausstellung mit dem Titel "Ornament und Abstraktion, die diese Tendenzen vorstellte, wohl nicht zufällig heißt eine Serie von Kathrina aus dem Jahr 2002 genau so. Und spätestens seit der Ausstellung "Die Macht des Ornaments" 2009 im Wiener Belvedere, die Künstlerinnen wie die Perserinnen Parastou Forouhar und Shirin Neshat, den Inder Raqib Shaw oder die Bulgarin Adriana Czernin präsentiert hat – behauptet das Ornament in einem globalisierten Kunstmarkt seinen Platz im zeitgenössischen Geschehen. Die Kuratorin Sabine B. Vogel hat es so formuliert, dass"… Ornamente auch eine Brücke (bilden) – zwischen den Zeiten, den Traditionen, den Kulturen. Bekräftigt von Globalisierung und den transnationalen bzw. – kulturellen Identitäten der KünstlerInnen, ist das Ornament heute nicht mehr Dekor, sondern eine globale Sprache."
 
Kathrinas Arbeit hat sich seit 2001 parallel zu dieser Entwicklung, aber völlig eigenständig und mit großem Gespür für eine sich verändernde Welt entwickelt. Zum einen durch ihren kunsthistorischen Blick zurück; zum anderen auf der weltumspannenden Spur des Ornaments reizt die Künstlerin diesen Aspekt aus. Während dabei lange das Verstehenwollen, das Nicht-fassen-können und ein mitfühlendes Staunen im Vordergrund bei der Motivwahl standen, dürfen zur Zeit optische Lust und zweckfreie Lebensfreude auf den Plan treten bzw. aufs Blatt kommen, wir können gespannt sein, wie dieser Welt-Transfer weitergeht.
 
Birgit Höppl