Something Missing? Zur Installation von Kathrina Rudolph

Thomas Elsen
Juni 2011

Katalogtext von Thomas Elsen.
Städtische Kunstsammlungen, Augsburg zum Katalog "Kathrina Rudolph/ Something missing?" anlässlich der Ausstellung in der Neuen Galerie im Höhmannhaus, Augsburg, April bis Juni 2011.

Seit Jahren beschäftigt sich Kathrina Rudolph mit der Ikonographie und Technik spätgotischer Tafelmalerei, um diesen Strang ihrer Auseinandersetzung dem Sammeln ausgesuchter Zeitungsbilder der Jetztzeit gegenüber zu stellen. In letzteren tun sich für sie formale wie inhaltliche Parallelen zur mittelalterlichen Bildwelt auf: Dort wie hier generiert die Künstlerin „eine tief in den menschlichen Gefühlen und Grundbedürfnissen wurzelnde Bildsprache“, eine epochenübergreifende piktorale Verständigungsform, die aus unterschiedlicher Zeit, Situation und Ausgangslage heraus universal wirkt. Das Bild und seine Vermittlungsfähigkeit, so kann man die daraus sich ergebende Quintessenz formulieren, ist nach wie vor der primäre und nachhaltigste Kommunikationsträger – noch weit vor jeder sprachlichen Formulierung.

Wohl auch aus diesem Grund rührt Rudolphs großes Interesse an der künstlerischen Bearbeitung von Pressefotos als neben elektronischen Bildern immer noch wesentlichen Informations-Vehikeln der Gegenwart. Seit 2001 fügt sie der Süddeutschen Zeitung entnommene Bildvorlagen ihren malerischen Kompositionen ein. Für Ihre Ausstellung in der Neuen Galerie im Höhmannhaus hat die Künstlerin nun unter dem Titel „Something Missing?“ mehrere thematisch zunächst nicht zusammenhängend scheinende, doch hermeneutisch verbundene Serien von Zeichnungen, Tafelbildern und Wandmalereien mit einer raumgreifenden zeichnerischen Installation verknüpft. Erneut spielt der Rekurs auf das Zeitungs- und Illustriertenfoto auch hier eine zentrale Rolle.

Den roten Faden und zugleich Rahmen des Projekts stellen mehrere Reisen der Künstlerin nach Bangladesch dar, die sie seit dem Jahr 2006 unternommen hat. Die gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse, insbesondere im Hinblick auf die Situation der dort lebenden Frauen, hat Kathrina Rudolph in differenzierter Form verarbeitet.

Ein zentrales Motiv ist eine der in Bangladesch erscheinenden Zeitung „The Dail Star“ entnommene Werbeanzeige für Seife der Marke „Lux“. Aus dem Foto lächelt eine junge Frau den Betrachter an, unter der Überschrift Something Missing? verspricht der zugehörige Werbetext mit jedem gekauften Stück Seife einen Schminkspiegel als Geschenk. Lux understands that without mirrors your life is imperfect heißt es unter anderem in dem Werbetext, der mit der Zeile endet: Go ahead, be glamorous, Perfectly.

Suggeriert wird in dieser Botschaft, zum Preis eines Stücks Seife, das selbst für die am unteren Rand der Gesellschaft lebenden noch in Reichweite ist, ein Stück Freiheit Schönheit, Glamour gleich mit zu erwerben – ist es nicht genau das, was dir fehlt..? Einhellig vermitteln dies die formulierende Botschaft und der werbende Blick der jungen Frau. Der mit dem Seifenkauf in Aussicht gestellte Spiegel soll wohl einerseits belegen, dass, wer in ihn blickt, sofort erkennt, dass dringender Handlungsbedarf besteht, um das Aussehen der Schönen zu erreichen; andererseits weckt die Aussicht auf den Erhalt des Spiegels die vorfreudige Hoffnung, sich selbst so schön, überlegen und befreit von den Widrigkeiten eines Lebens in Not und Armut darin wahrzunehmen. Ganz so, wie es das Lux-Vorbild vorgibt.

Kathrina Rudolph hat diese Werbung unverändert übernommen. Lediglich durch die ihr neu verliehene Form des Hinterglasbildes hat sie ihr eine scheinbare Aufwertung zu Teil werden lassen, die den zynischen Kitsch der Bildbotschaft noch einmal künstlich überhöht. Indem die Künstlerin hier keinen moralischen oder gesellschaftskritischen Kommentar abgibt, sondern das „Bild“ ganz für sich alleine sprechen und wirken lässt, indem sie es aus der Zeitung entfernt und im gerahmten Zustand an einer Museumswand zur Ausstellung bringt, wird die ganze Komplexität des Zusammenhangs zwischen Rolle und Realität, Klischee und Tatsächlichkeit, Kommerz und schreiender Armut in konzentrierter Form präsent.

„Schöne Frauen“ sind auch in einer weiteren Serie der Ausstellung vertreten: Porträts von Schauspielerinnen, Sängerinnen, Medienschönheiten, deren Motive arabischen Zeitungen entnommen wurden. Durch Kathrina Rudolphs Weiterverarbeitung in klassischen künstlerischen Maltechniken, in Tusche und Eitempera, glanzversilbert, graviert und punziert, erfahren auch sie wieder eine Pseudo-Kostbarkeit, die mit der Pseudo-„Bedeutung“, des medialen Bekanntheitsgrades der Porträtierten korrespondiert. Dem gegenüber gestellt finden wir „Frauen aus Bangladesch“ in traditioneller Kleidung, sowie im benachbarten Raum „Ikonen des Krieges“ – entfernte, voneinander separierte Welten, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, und doch im selben Bezugsraum und zeitgleich aufeinander prallen. Im Museum nicht weniger als im richtigen Leben.

Quasi als Bindglied fungiert die Arbeit „Paper Balls“, eine in das Gewölbe der Galerie eingepasste Installation aus 70 an Nylonschnüren von der Decke herabhängenden Transparentpapierkugeln. Umschlossen werden sie von direkt auf die Wand aufgetragenen Kohlepausen, die dem Raum einen offenen Rahmen geben. Sowohl die Bleistiftzeichnungen auf Transparentpapier als auch die Kohlepausen zeigen Motive der Süddeutschen Zeitung. Hier sind es vielfach Politikerinnen oder Politiker-Gattinnen, die sich lächelnd, händeschüttelnd, oder konferierend – Politik machend eben, zeigen.

Der Eindruck scheinbarer Willkür der Konstellation und Kombination der hier porträtierten Frauen ist bei Kathrina Rudolph durchaus gewolltes Prinzip. Er entspricht dem nicht unwesentlichen Teil eines elektronisch wie printmäßig vermittelten, global greifenden Frauenbildes, das situativ und je funktionsbezogen verfügbar wie abrufbar zu sein scheint. Sex and Crime, Glamour und Katastrophe, Politik und Party kompensieren und dekorieren sich darin gegenseitig zu einer fragwürdigen Ausgeglichenheit, die man auch als wohl kalkulierte Beliebigkeit benennen kann. Genau deshalb vermischen sich die Komponenten in der Arbeit der Künstlerin zu einem übervollen Gesamtbild, das als Analogie zu der medial transportierten Realitäts-Melange, mit der wir uns immer wieder konfrontiert finden, auftritt. Kathrina Rudolph geht es dabei weniger um Moralisierung als zunächst einmal um nüchterne Phänomenologie. Als Grundlage für den Betrachter, sich selbst ein Bild zu machen: „Ich möchte das vergängliche Zeitungsbild, das in einer Flut von Bildern kaum bewusst wahrgenommen wird, dem Kreislauf zwischen Druckerpresse und Altpapiertonne entziehen und ihm einen neuen Status geben, es der Betrachtung und Reflexion des Konsumenten anheim stellen“. Ihr Projekt „Something Missing?“ tut dies in hoch komplexer Form.

Thomas Elsen